Das Wormser Konkordat von 1122 im europäischen Kontext

Das Wormser Konkordat von 1122 im europäischen Kontext

Organisatoren
Gerold Bönnen, Stadtarchiv Worms; Claudia Zey, Universität Zürich
PLZ
67547
Ort
Worms
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
14.09.2022 - 16.09.2022
Von
Carolin Schreiber, Bensheim

Anlässlich des 900-jährigen Jubiläums des Wormser Konkordats luden Claudia Zey und Gerold Bönnen mit Unterstützung des Wormser Altertumsvereins zu einer Tagung nach Worms, die nicht nur beim Fachpublikum, sondern auch bei der breiten Bevölkerung auf große Resonanz stieß. Das Wormser Konkordat gilt im Allgemeinen als der Schlusspunkt des Investiturstreits, eines langjährigen Ringens um die Frage nach dem Verhältnis zwischen geistlicher und weltlicher Macht und im Speziellen darum, ob und in welcher Weise der König berechtigt sei, Bischöfe einzusetzen. Die Verhandlungen hierzu fanden 1122 in Worms statt und endeten mit den Beschlüssen des sogenannten „Wormser Konkordats“. Gerade weil sich die historische Forschung bereits intensiv mit dieser Thematik auseinandergesetzt hat, verfolgte die Tagung das Ziel, diese einer Revision zu unterziehen. Zusätzlich sollten durch einen multiperspektivischen Blick auf die Akteure, die Gegebenheiten und Vorgänge rund um das Wormser Konkordat in europäischer Perspektive neue Diskurse angeregt werden.

Als Leiterin der ersten Sektion skizzierte CLAUDIA ZEY (Zürich) die Thematik und stellte heraus, dass die miteinander verhandelnden Parteien im Streit um die Investitur nach einem gesichtswahrenden Kompromiss suchten. Als Lösung wurde der Verzicht des Herrschers auf die Investitur mir Ring und Stab vereinbart und stattdessen die Lehensbindung der Bischöfe an die weltliche Macht durch eine Investitur mit dem Zepter vor der Weihe verdeutlicht. Die Dokumente, die über die Ergebnisse der Verhandlungen informieren, die kaiserliche und päpstliche Urkunde, genannt Heinricianum und Calixtinum, sind immer wieder Gegenstand der Diskussion. Während sich die kaiserliche Urkunde nämlich im Original erhalten hat, kann sich der päpstlichen nur kopial angenähert werden. Außerdem zeigt die kaiserliche Urkunde in der Art ihrer Ausfertigung eine auffällige Abweichung von den gängigen diplomatischen Kriterien. Folglich ist davon auszugehen, dass dies eine bewusste Entscheidung war, um die Gleichrangigkeit beider Parteien zu betonen. Mit dieser Problematik setzte sich LUDGER KÖRNTGEN (Mainz) intensiv auseinander. Seine Untersuchungen zur Tradition der früh- und hochmittelalterlichen Papst-Kaiser-Pacta zeigten, dass sich das Wormser Konkordat in diese nicht einordnen lässt. Die Diskussion verdeutlichte, dass hier die Intention das entscheidende Moment war. Denn während die Papst-Kaiser-Pacta aus einer Situation der Eintracht heraus angelegt wurden, entstand das Wormser Konkordat in einem massiv konfliktbehafteten Rahmen und musste schon deshalb von der traditionellen Form abweichen.

Die folgenden Vorträge widmeten sich der europäischen Perspektive in der Investiturproblematik, denn auch in Frankreich und England wurde im 12. Jh. über die Frage der Investitur diskutiert. Für Frankreich bescheinigte PHILIPPE DEPREUX (Hamburg) dem dortigen Investiturstreit einen „milden Verlauf“, so dass sich der französischen Forschung schon bald die Frage stellte, ob es einen solchen überhaupt gegeben habe. Denn schon 1107 kam es zu einem dem Tenor des Wormser Konkordats vorgreifenden Kompromiss, die Investitur mit einem Zepter nach der Weihe. Wie ein solches Investiturritual genau aussah, ist bis heute unklar. Allerdings lässt sich eine verstärkte Rezeption des Stabes und Vernachlässigung des Ringes erkennen, bis sich der Stab bzw. später das Zepter als zentrales Investitursymbol etablierte. In England wurde über diese Frage erbitterter gerungen als in Frankreich, man erreichte hier jedoch langfristig eine pragmatische Lösung. Im sogenannten „Londoner Konkorda“ von 1107 verzichtete König Heinrich I. auf die Investitur, dafür musste ihm der Bischof noch vor der Weihe huldigen. STEPHAN BRUHN (London) fragte in diesem Zusammenhang, wie die Investiturfrage und deren Lösung von den beteiligten Akteuren wahrgenommen und bewertet wurde. Einen bisher nur wenig genutzten Zugang zeigte die Auseinandersetzung mit der englischen Debattenkultur durch die Analyse von Streitschriften. Diese Quellen und ihre Nutzung für übergeordnete Vergleiche bergen ein hohes Erkenntnispotential, auch über den insularen Kontext hinaus.

Durch die erste Sektion des zweiten Tagungstages führte NINA GALLION (Mainz). In dieser Sektion wurden die am Investiturstreit und Wormser Konkordat beteiligten Akteure thematisiert. GERHARD LUBICH (Bochum) stellte Kaiser Heinrich V. in den Mittelpunkt seiner Ausführungen, der nach seiner Einschätzung 1111/1112 auf dem Höhepunkt seiner Macht war. Die nachfolgend immer intensiver werdenden Konflikte mit den Großen des Reichs schwächten seine Position in den darauffolgenden Jahren immer mehr, so dass Heinrich V. von den Großen zu den Verhandlungen für das Wormser Konkordat gedrängt werden konnte und selbst eine vermehrt passive Rolle einnahm. JÜRGEN DENDORFER (Freiburg i. Br.) setzte bezüglich der bisherigen Interpretation, das Wormser Konkordat habe zum Ende aller Konflikte geführt, neue Akzente. Denn obwohl die Beschlüsse den Konflikt zwischen Kaiser und Papst entschärften, konnte zwischen dem Kaiser und den Großen des Reichs die Herstellung von_ pax_ und concordia nicht erreicht werden.

JOCHEN JOHRENDT (Wuppertal) wechselte zur päpstlichen Perspektive und stellte fest, dass das Wormser Konkordat für die Päpste nicht dieselbe Bedeutung hatte wie für das Reich. Aufgrund der Ausformung des Reformpapsttums hatte sich der Papst vom römischen Bischof zum aktiven Leiter der Gesamtkirche mit Universalanspruch entwickelt; hiervon war das Reich lediglich ein Teil. Somit hatte das Wormser Konkordat keinen grundsätzlichen Charakter, sondern ist eher als Ausgangspunkt für die weitere Entfaltung des Papsttums zu sehen. Eine weitere Ebene eröffnete HARALD MÜLLER (Aachen) mit seinem Blick auf die drei päpstlichen Legaten und ihre herausragende Stellung im Verhandlungsprozess. Alle drei waren namentlich bekannte Kardinäle unterschiedlichen Ranges (Kardinalbischof, Kardinalpriester, Kardinaldiakon), die mit dem Thema der Investitur und dem Vorantreiben der päpstlichen Reformen bestens vertraut waren. Sie verstanden sich als autonom agierende Stellvertreter des Papstes, als mediatores, die den Auftrag hatten pax und concordia herzustellen, was ihnen mit dem Urkundentausch auch gelang.

Am Nachmittag des zweiten Tagungstages eröffnete BENJAMIN MÜSEGADES (Heidelberg) die dritte Sektion, die sich dem Ort des Geschehens zuwandte. Ursprünglich sollten die Verhandlungen in Mainz stattfinden, doch der Konflikt zwischen dem Kaiser und dem Mainzer Erzbischof führte zu einer Änderung zugunsten von Worms. CASPAR EHLERS (Frankfurt/M.) näherte sich dem Verhandlungsort, indem er die SchUM-Städte Speyer, Worms und Mainz hinsichtlich ihrer Entwicklung, ihrer unterschiedlichen Wirkungsräume, der Beziehung zu Bischof und Kaiser sowie der jüdischen Gemeinden betrachtete. Den SchUM Städten gemeinsam war, dass sie ihre Anfänge in römischer Zeit hatten, sich zu christlichen Zentren entwickelten und im 11. Jh. eine Ansiedlung, Etablierung und Vernetzung jüdischer Gemeinden erfolgte. In diesem Zeitraum zeigte sich auch eine Intensivierung der Einflussnahme von ministerialen Führungseliten. Der Vortrag von GEROLD BÖNNEN (Worms) legte den Fokus auf die verwandtschaftlichen Verflechtungen zwischen der Stiftsgeistlichkeit und der Hofkapelle Heinrichs V. Die Betrachtung einzelner zeitgenössischer Persönlichkeiten verdeutlichte, dass diese sozialen Gruppen durch ihre wirtschaftliche Stellung und ihre Vernetzung Zugriff auf zahlreiche städtische Ressourcen hatten und somit als Träger von Macht und Mitherrschaftsansprüchen verstanden werden müssen. Bönnen führte in diesem Zusammenhang den Begriff „clanähnliche Strukturen“ ein, der – verbunden mit allen neuzeitlichen Assoziationen – verdeutlichen sollte, wie sich der unter der Oberfläche immer weiter voranschreitende Machtausbau der ministerialen Führungseliten auswirkte und Einfluss auf die mittelalterliche Stadtherrschaft nahm.

Einen Zugang zu Worms aus kunsthistorischer Perspektive ermöglichte AQUILANTE DE FILIPPO (Worms) mit einer Führung durch den romanischen Wormser Dom. Hierbei vermittelte er einen Einblick in dessen komplizierte Baugeschichte und eine visuelle Annäherung an dessen für die südwestdeutsche Kunstgeschichte und spätere Kirchenbauten prägende Architektur. Intensiv betrachtet wurden das Sanktuarium und der Umbau des Ostchors von einem apsidialen zu einem geraden Ostabschluss. Mit seinen fundierten Kenntnissen bereitete De Filippo die Tagungsteilnehmer auf den Abendvortrag von MATTHIAS UNTERMANN (Heidelberg) vor, der in einem Zwischenbericht über die neusten Ergebnisse der historischen Bauforschung am Wormser Dom referierte. Auch wenn der Wormser Dom selbst kein Schauplatz der Verhandlungen rund um das Wormser Konkordat war, lassen sich dort im frühen 12. Jh. Bautätigkeiten nachweisen. Die jüngsten dendrochronologischen Ergebnisse ermöglichen eine neue Interpretation der Bauphasen und eine Verknüpfung mit den schriftlich überlieferten, jedoch bisher nicht einzuordnenden Weihedaten (für 1018 Burcharddom, 1100, 1144 und 1181). Es ist davon auszugehen, dass um 1105/07 im Ostteil des Wormser Doms Baumaßnahmen begannen, die den unteren Teil des Querschiffs, die untere Fensterzone des Sanktuariums und die heute nicht mehr vorhandene östliche Apsis umfassten. Dieser erste Bauabschnitt wurde 1110 geweiht, bevor sich wenige Jahre später die Vorstellungen der Bauformen für die Ostfassade änderten. In einem zweiten Bauabschnitt nach 1130 wurde die Ostfassade zu ihrer heute noch erhaltenen geraden Form umgestaltet, um 1140 fertiggestellt und möglicherweise 1144 geweiht. Die Weihe von 1181 bezieht sich wahrscheinlich eher auf die Fertigstellung des Langhauses als auf den Westchor (wie bisher vermutet), auch wenn es sich schwieriger gestaltet, dieses Datum mit dem Datierungsbefund in Einklang zu bringen und auf zukünftige Forschungen (an der Südseite) verwiesen werden muss.

Gerold Bönnen führte durch den dritten und letzten Tagungstag, dessen Augenmerk auf den Auswirkungen bzw. Nachwirkungen des Wormser Konkordats lag. In seinem Vortrag fragte CHRISTOF ROLKER (Bamberg) nach der Überlieferung von Informationen zum Investiturrecht in kanonischen Quellen und stellte heraus, dass es solche vor 1078 nicht gab. Erst nach 1122 wurden die Rechtstexte zur Investitur in weit verbreitete Sammlungen aufgenommen und die Kommentare der Rechtsgelehrten immer wichtiger. Darauf aufbauend entwickelte sich in der 2. Hälfte des 12. Jh.s. eine Vereinheitlichung des Rechtskorpus, was zu einem Schub im Ausbau des Kirchenrechts führte. KNUT GÖRICH (München) fragte im letzten Vortrag der Tagung nach den Auswirkungen des Wormser Konkordats auf die Zeit Friedrichs I. Barbarossas. Er setzte einen neuen Akzent, indem er das bisherige Diskussionsfeld um die Frage erweiterte, wie sich die lehnrechtliche Bindung des Bischofs an den Herrscher ausformte und von den Beteiligten verstanden wurde, denn eine solche war im Wormser Konkordat noch nicht mitgedacht worden.

Die Abschlussdiskussion unter der Leitung von Claudia Zey verdeutlichte die zahlreichen Schnittstellen zwischen den einzelnen Vorträgen. Eine solche war die Akzentverschiebung weg von den Kulminationspunkten „Kaiser“ und „Papst“ hin zu den beteiligten Akteuren. Hier wurde eine dezidierte Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen geographischen Handlungsspielräumen der Herrscher und Akteure nördlich und südlich der Alpen als ein fruchtbarer Zugang erkannt. Neben den bekannten Adelsgruppen wurden besonders die städtische Stiftsgeistlichkeit und die Ministerialen mit ihren „clanähnlichen Strukturen“ als einflussreich hervorgehoben. Diese sollten künftig hinsichtlich ihres Selbstverständnisses und ihrer machtpolitischen Interessen sowie im Vergleich mit anderen Städten untersucht werden. Mit Blick auf die europäische Perspektive lohnt eine intensivere Analyse der dort angewandten Lösungsstrategien sowie weitere komparatistische Fragestellungen. Als wichtiger Aspekt wurde die intensive Relektüre der bekannten Quellen, aber auch die Analyse bisher kaum beachteter Quellen erkannt. Zudem wäre es wünschenswert, unterschiedliche, im europäischen Raum überlieferte, Quellengattungen einzubeziehen. Damit verbunden könnte die intensivere Betrachtung der Entwicklung des gelehrten Rechts neue Blickwinkel eröffnen, die das bisher als Schlusspunkt des Investiturstreits angesehene Wormser Konkordat in den Hintergrund rücken. In Bezug auf die Auswirkungen des Wormser Konkordats wäre eine genauere Untersuchung der sich immer mehr ausgestaltenden lehnsrechtlichen Bindung des Bischofs an den Herrscher durch die Zepterinvestitur als gewinnbringend zu bewerten.

Die Tagung „Das Wormser Konkordat von 1122 im europäischen Kontext“ konnte der Zielsetzung gerecht werden, in dem schon gut erforschten Feld rund um den Investiturstreit neue Akzente zu setzen. Bisher als Gewissheit geltende Sachverhalte wurden durch neue methodische Herangehensweisen in Frage gestellt, gemeinsam diskutiert und dadurch im Einzelfall neue Zugänge erschlossen. Es wurde deutlich, wie vielschichtig sich der Prozess im Ringen um das Wormser Konkordat und dessen Verortung je nach Perspektive gestaltete und folglich auch unterschiedlich bewertet werden muss, sei es in der Investiturfrage selbst oder dem allgemeineren aber auch viel wichtigeren Friedensschluss.

Konferenzübersicht:

Sektion I: Der Inhalt des Wormser Konkordats.

Sektionsleitung: Claudia Zey (Zürich)

Ludger Körntgen (Mainz): Von Rom nach Worms. Kontexte und Problemstellungen der früh- und hochmittelalterlichen Papst-Kaiser-Pacta

Philippe Depreux (Hamburg): Die Amtseinsetzung der Bischöfe in Frankreich im 11.–12. Jahrhundert und die Frage nach der Bedeutung von Ritualen

Stephan Bruhn (London): Konflikt ohne Kontroverse? Beobachtungen zur Debattenkultur im englischen Investiturstreit

Sektion II: Die Akteure

Sektionsleitung: Nina Gallion (Mainz)

Gerhard Lubich (Bochum): Zu wenig, zu spät? Das Wormser Konkordat und die Königsherrschaft Heinrichs V.

Jürgen Dendorfer (Freiburg i. Br.): Am Ende aller Konflikte? Die Großen und der Weg zum Wormser Konkordat

Jochen Johrendt (Wuppertal): Der Papst als geistlicher und weltlicher Herrscher nach dem Wormser Konkordat
Harald Müller (Aachen): Verhandlungsreisende. Die päpstlichen Gesandten und der Abschluss der Wormser Vereinbarungen

Sektion III: Der Ort des Geschehens
Sektionsleitung: Benjamin Müsegades (Heidelberg)

Aquilante De Filippo (Worms): Führung im romanischen Domneubau (12. Jahrhundert)

Caspar Ehlers (Frankfurt am Main): Die SchUM-Städte. Speyer, Worms und Mainz im Spannungsfeld von Kirche und Welt

Gerold Bönnen (Worms): Worms als ein Zentralort des Reiches

Öffentlicher Abendvortrag:

Matthias Untermann (Heidelberg): Neueste Befunde zur Erbauung des Wormser Doms

Sektion IV: Die Auswirkungen des Wormser Konkordats
Sektionsleitung: Gerold Bönnen (Worms)

Christof Rolker (Bamberg): Die Investitur im Kirchenrecht vor und nach dem Wormser Konkordat

Knut Görich (München): Die Wirkung des Wormser Konkordats in der Stauferzeit (12. Jahrhundert)

Claudia Zey (Zürich): Schlussrunde/Abschlussdiskussion

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